WAHRSCHAUER





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1) Wie war das für Dich, als, kurz nach Eurer Japan-Tour, das große Unglück in Fukushima passierte?

SUCKER: Krass... das war ja gerade mal eine Woche nachdem wir zurück kamen, und eine Show war gerade mal 50 km Luftlinie von dem Kraftwerk entfernt - den Strand, an dem wir da noch rumgehangen sind gibt’s wohl so nicht mehr... Wir haben viele Leute dort echt ins Herz geschlossen, hatten Riesenspaß auf der Tour und wurden so gut aufgenommen und behandelt, dass wir uns dachten: die haben das echt nicht verdient...!
STEPH: Zwei Sachen dazu – erst mal natürlich die ganz egoistische Nummer – Fuck das hätte jetzt auch ne Woche früher passieren können. Da waren wir nämlich genau dort, wo die Riesenwelle alles kaputt gemacht hat. Und dann – das ist die viel schlimmere Geschichte, stellt man sich die Frage was mit den Leuten vor Ort, die man gerade noch kennen gelernt hat passiert ist und ob von denen ein paar überlebt haben. Zum Glück gab es gleich ne Menge Feedback.
SUCKER: Soweit ich weiß ist niemandem den wir dort kennen etwas passiert, zumindest bis jetzt nicht. War aber für mich irgendwie auch wie ein Deja-vu – als die Sache mit den Twin Towers in New York damals war haben wir mit Oxys nämlich kurz vorher auch noch in der Stadt gespielt, nicht weit davon weg in so einem Laden in Manhattan...

2) Dieses Jahr erschien ja auch Euer zweites Album „Mission Mohawk“. Wie entstehen bei Euch die Songs? Wer schreibt die Musik, und wer die Texte?

STEPH: Sucker ist das Mastermind – wir sind seine Jünger – hier und da ergibt sich mal ne Überschneidung und wir können eine Idee einfügen – aber die Songs sind immer schon so verdammt gut, dass sich da wenig ergibt.

3) Ein wichtiges Thema des aktuellen Albums scheint mir auch die Kindheit zu sein bzw. mit „Kids of the Nation“ wendet Ihr Euch ja auch direkt an die Jugend von heute. Was hat Dich / Euch damals beeinflusst und was wollt Ihr den Kids von heute sagen?

SUCKER: Ich würde eher sagen die Jugend, die man verbracht hat, ist das Thema in einigen Songs - oder das Leben, das man bisher gelebt hat generell... In „My Life“ z.B. wird meinerseits einiges verarbeitet was damit zu tun hat, welchen Weg man irgendwann eingeschlagen hat und seitdem gegangen ist. Wenn ich heute alte Bekannte sehe, die seit etlichen Jahren einen festen Job haben und sich mit ihrer Kohle inzwischen ein Haus oder sonst was kaufen können (oder auch für die Zukunft vorgesorgt haben) kommt natürlich auch der Vergleich mit dem eigenen Dasein hoch, und unterbewusst fragt man sich doch immer wieder ob man nicht irgendetwas falsch gemacht hat... Klar, inzwischen hätte ich auch Bock auf etwas mehr finanzielle Freiheit und eine Bude ohne Ofenheizung - man wird ja schließlich auch nicht jünger! Aber das, was mich in meiner Jugend dazu angetrieben hat Punkrocker zu werden und lieber mit einer Band um die halbe Welt zu fahren als eine „anständige“ Ausbildung zu machen, fließt ja immer noch im Blut und lässt sich auch nicht einfach so abschütteln... Auch wenn es mir mit Anfang 30 natürlich schwerer fiel mich neu zu orientieren und mit etwas anderem als der Musik job-mäßig Fuß zu fassen – was andere schon längst hinter sich hatten – bin ich mir nach wie vor sicher, dass meine Entscheidung richtig war. Ich würde es wohl genau so wieder machen, und habe nichts zu bereuen wenn ich morgen ins Gras beißen müsste... Aber das war eine persönliche Entscheidung, ich hätte auch noch die Chance gehabt ein „normales“ Leben zu führen - und genau das ist heutzutage anders: die Perspektiven für die Kids sind im Moment weitaus düsterer als damals denn sie haben gar nicht mehr die Möglichkeiten etwas aus sich zu machen so wie früher. Hartz IV ist großenteils vorprogrammiert weil viele einfach keine Arbeit mehr finden werden, und der Druck funktionieren zu müssen ist stärker als jemals zuvor. Und mal ganz ehrlich – den meisten fehlt trotz allem der Antrieb sich mit dem ganzen System auseinander zu setzen, das daran Schuld ist und sie im Stich lässt, und konsumieren nur brav und blöde die neusten Playstation- oder Handy-Updates anstatt auf die Strasse zu gehen und sich dagegen zu wehren was um sie herum passiert. Mir fehlt der „Rebel Spirit“ dieser Generation... und darum geht es u.a. auch in „Kids of the Nation“...

4) Besonders aufgefallen ist mir auch der Song „Borderline“. Nicht nur weil es ein Duett ist, sondern auch, weil es meiner Meinung nach ein ziemlich ehrlicher Song ist (ähnlich wie „Cocaine“). Es geht in dem Song schon um das Borderline-Syndrom, oder?

SUCKER: Ja, das ist zwar auch ein Wortspiel aber es dreht sich schon um die Krankheit. Wer jemanden kennt der davon betroffen ist wird auch genau wissen was gemeint ist, und ich habe da auch gewisse Erfahrungen mit Menschen aus meinem engeren Umfeld gemacht... Psychische Probleme haben ja mittlerweile viele Leute, Depression als neue Volkskrankheit, und man muss sich im Klaren darüber sein wie sehr sie das Verhalten beeinflussen, selbst wenn man an der Oberfläche demjenigen nichts anmerkt. Damit richtig umzugehen ist ein schwieriges Kapitel...
STEPH: Bei dem Song „Cocaine“ geht’s auf jeden Fall auch um Kokain!!!
SUCKER: Haha... Genau, eigentlich um Drogen und Sucht allgemein. Auch damit richtig umzugehen ist nicht ganz einfach... das hat der eine oder andere warscheinlich auch schon selbst mitgekriegt, entweder weil man ein paar Kumpels verloren hat die an der Nadel hingen oder auch weil man es an eigenem Leib erfahren hat. Der Song ist jedenfalls aus der Sicht eines Süchtigen geschrieben der selber merkt, dass er ein Problem hat und es trotzdem nicht in den Griff bekommt – aber das ist ja schon mal der erste Schritt.
STEPH: Geht mal davon aus das wir wissen worüber wir Songs schreiben…

5) Habe ich das Stück „Made in Germany“ richtig verstanden, dass immer ein Schuldiger für eine bestimmte Lage/Situation/Zustand gesucht wird, nur man selbst ist es natürlich nicht?

SUCKER: Ist es denn nicht so? Ich habe jedenfalls den Eindruck dass es hierzulande für alles was schief läuft immer einen Sündenbock geben muss, weil solange man die Schuld auf andere abschieben kann muss man sich keine Gedanken machen ob man selber etwas falsch macht... und das ist meiner Meinung nach auch ein typisch deutsches Ding, oder es kommt mir nur so vor weil ich hier aufgewachsen bin. Darauf bin ich mit Sicherheit auch nicht stolz, weil man das nur auf etwas sein kann was man selber erreicht hat, aber es ist nun mal eine Tatsache. Billy’s Version davon müsste „Made in Scotland“ heißen und die von Marti „Made in Spain“... ich wäre ja gespannt was dabei rauskommen würde!
STEPH: Meine Version heißt dann „Made in DDR“ – da war immer die Stasi schuld!

6) Macht Ihr Euch Gedanken über die immer größer werdenden Unterschiede zwischen Arm und Reich? Und was bedeutet das für Dich?

STEPH: Das die Schere hier immer weiter auseinander geht finden wir zum kotzen – und das hat mit Sicherheit nicht nur damit zu tun, dass wir leider irgendwie immer auf der armen Seite landen. Ich persönlich finde es zum kotzen, dass so altkluge Sprüche wie: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ einfach nicht mehr stimmen. Man kann ja heutzutage ackern wie man will und aufm Konto ist trotzdem Ebbe... Das liegt vorrangig daran, dass sich da einige Damen und Herren ganz oben seit vielen Jahren den goldenen Löffel hin und her schieben und gut aufpassen das Ihnen keiner in die Suppe spucken kann. Mit diesem Umstand muss man wohl Leben – aber anprangern kann man das als Musiker wenigstens!
SUCKER: Klasse statt Rasse... das ist der wahre Konflikt in unserer Gesellschaft. Und ich bin froh dass selbst die Amis das inzwischen kapiert haben und sich in Sachen wie „Occupy Wallstreet“ angefangen haben sich gegen die Macht der eigentlichen Fädenzieher dieser Welt zur Wehr zu setzen...

7) In unserer neuen Ausgabe werden wir über das Thema „Mein Jobcenter und ich“ berichten ;-) Einige skurrile Geschichten und etwas Hintergrund. Was fällt Dir zum Thema Jobcenter ein? Was ist die skurrilste Geschichte, die du vom Job-Center gehört hast?

STEPH: Ich hab mal gehört das Jobcenter ist dazu da, Menschen in Notlagen zu unterstützen und ihnen eine neue Chance und gewisse Sicherheit zu geben – guter Witz! Ich hab schon Hausverbot dort bekommen weil ich einen Sachbearbeiter bedroht habe, der mich in eine Maßnahme stecken wollte obwohl ich nur für zwei Monate Hartz beantragt hab, weil ich dann eh wieder nen Job hatte. So ne Maßnahme dauert 12 Monate nebenbei! Egal – denn sie wissen meist nicht was sie tun!
SUCKER: Ich versuche seit Jahren mit dem Amt nichts zu tun haben zu müssen, sondern will ohne Hilfe vom Staat zurechtkommen – das müssen Menschen in anderen Ländern nämlich auch... Und ich kann Leute nicht ernstnehmen, die sich mit einer Selbstverständlichkeit ihr ganzes Leben nur von dem Staat finanzieren lassen, gegen den sie doch eigentlich sind! „Don’t get fed by the hand you wanna bite...”

8) Habt Ihr eigentlich Probleme (tourtechnisch etc.), weil einige Bandmitglieder noch in anderen Bands spielen?

STEPH: Ja, wenn wir mit Bad Co. irgendwo spielen fragen immer alle nur nach den TowerBlocks – das nervt natürlich den Rest ein wenig – aber da gehen wir gemeinsam durch!
SUCKER (grins): Schon klar, Stephan, das hättest du wohl gerne...! Natürlich ist es etwas schwierig die verschiedenen Bands zu koordinieren, gerade Mad Sin sind ja auch oft unterwegs... Aber da muss man eben längerfristig planen und dann kriegt man das schon unter einen Hut. Bisher hat das jedenfalls ganz gut geklappt...

10) Was gibt es noch zu „From the ashes of OXYMORON“ zu sagen?

STEPH: Sach mal Swen – wer ist eigentlich dieser Oxymoron von dem die immer alle sprechen???
SUCKER: Nur das was dieser Spruch bedeutet: Oxys sind tot und Bad Co. Project lebt noch...

11) Warum schreibt Ihr in Eurem Info zum neuen Album, dass Ihr weder eine Band der politischen Mitte noch des gemäßigt rechten Lagers seid? Was soll dass heißen?


STEPH: Warscheinlich sollte das heißen das wir weder eine Band der politischen Mitten oder des gemäßigten Lagers sind. Um da eventuell aufkommende Fragen im Keim zu ersticken, wir sind auch keine Band des richtig rechten Lagers! Also wir haben eine klare Antipathie gegen Rassismus jeglicher Form. Und wir sind erschüttert das die Neue (braune) RAF wohl aus dem rechten Lager kommt (Danke an BILD für dieses beschissene Wortspiel). Aber was wir vor allem gelernt haben ist, dass man sich ordentlich in die Nesseln setzt wenn man sich ohne zu fragen klar zum linken Lager positioniert. Ich finde die haben sich in den letzten Jahren viel zu sehr aus dem Fenster gelehnt als dass man da ohne zu Fragen jeden Mist mitmachen könnte.
SUCKER: Das Info haben wir ja auch nicht selbst geschrieben...
Es ist einfach eine Anspielung auf gewisse Bands, die zur Zeit scheinbar in Mode und richtig angesagt sind, obwohl sie durchaus politisch dort anzusiedeln sind - ich sag nur Deutschrock... Wir stehen da ganz woanders, auch wenn das für Punkrock früher einmal völlig logisch war. Aber heutzutage scheint mir nehmen das viele Leute nicht mehr so wichtig oder sind nicht mehr wirklich kritisch genug. Da wird dann eben die Musik konsumiert und was dahinter steckt ist völlig egal, Haupt-sache der Spaßfaktor stimmt und bloß keinen Stress mit irgendetwas haben! Willkommen im 21. Jahrhundert würde ich abschließend dazu sagen...

Danke für Eure Zeit!


SUCKER: Danke an euch! Prost!